Gipszylinder / Foto: Joerg Burger
90 Gipszylinder graphitisiert, Letraset
Raummaße: Seitenlänge 480 cm, Tiefe 260/50 cm, Höhe 390 cm
Entwurf 1986, Ausführung 1988
Raum: Rundtrakt, 1. Obergeschoss
Ausgangspunkt für alle Überlegungen und Empfindungen ist natürlich der Raum, den ich von Anfang an als sehr besonderen erlebt habe. Das liegt zum einen an seiner eigenartigen Form, die ich so ganz und gar nicht 3-dimensional, sondern eher als eine „Zeile“ (von links nach rechts), als eine Öffnung von einem Mittelpunkt (ganz links) ausgehend erlebt habe. Zum anderen spielt eine große Rolle, was man nur beim zweiten Hinsehen wahrnimmt, nämlich die enorme Dicke der Außenwand, zu der die Raumgröße in einem geradezu lächerlichen Verhältnis steht. (Der Raum an der engsten Stelle ist 47 cm breit, die Außenwand an derselben Stelle ist 1,20 m.) Ein richtiges Containment!
Die Beziehung der Arbeit zum Raum ist in keiner Weise technisch, nicht konstruktiv, denn nichts ist mit dem Raum architektonisch, mechanisch verbunden, noch sind Mengen- oder Größenverhältnisse nachweisbar aus ihm abgeleitet. Die Beziehung ist inhaltlich. Sie interpretiert den Raum, bestimmt ihn und darüber hinaus entsteht eine neue Situation, in der der Raum die Arbeit interpretiert. Die Formation der Zylinder funktionalisiert den Raum („links“ ein Feld mit „potentiellen" Skulpturen, „rechts“ die „Bühne“).
Die enorme schützende Außenwand bestätigt, was man vielleicht schon ungut ahnt: Die Schutzmauer des Turms, ehemals gedacht als Schutz gegen Gefahr von außen, könnte nun in umgekehrter Richtung funktionieren.
Die Elemente, die Gips-Graphit-Zylinder, sind für mich in einer eigenartigen Mischung sowohl abstrakt, also als erfunden zu verstehen, wie auch gegenständlich zu lesen als unbekannte technische Klötze, Gewichte, Behälter, deren Bedeutung wir nicht kennen. Diese vielleicht verunsichernde Mischung ist sicherlich sehr wichtig für die assoziative Kraft der Arbeit. Man könnte sagen, daß diese Arbeit neben dem beschriebenen architektonischen Aspekt, wonach die Arbeit dem Fluß des Raums folgt und ihm zugleich im Volumen widerspricht (die Masse der Skulptur links, die Masse des offenen Raums rechts), daß die Arbeit also neben diesem architektonischen Aspekt einen assoziativen, technologischen Aspekt hat. Es entsteht, wenn man aus dem Fenster blickt, ein ironischer, vielleicht böser, Widerspruch.
Und drittens gibt es einen literarischen Aspekt: „sehr sehr". Das sind zwei Worte, die auf die gleiche Weise verbindlich (gegenständlich = lesbar) und zugleich unverbindlich (ohne Aussage) sind wie die Körper. So, wie die Körper als metallische Masse Gewichte sind (sie könnten auch aus einer Standuhr stammen), so sind die Wörter „sehr sehr“ für die Sprache Gewichte.
(Aus einem Brief von MONIKA BRANDMEIER vom 7. April 1987)
Erstpräsentation im Rahmen des Buchberger Sommers 1989